Seit Monaten eilen vor allem die US-amerikanischen Börsen von Rekord zu Rekord. Der S&P 500, der Nasdaq und auch der MSCI World (der zu 70 % aus US-Aktien besteht) notieren auf oder nahe ihrer Allzeithochs. Gleichzeitig häufen sich die mahnenden Stimmen: „Das sieht aus wie damals – bevor die Dotcom-Blase geplatzt ist!“ Ein Satz, der Anlegern seit Wochen durch die Feeds gespült wird. Die Börsen steigen – und die Crashpropheten haben wieder Hochkonjunktur. Ein altes Ritual: Kaum erreicht der Markt neue Höchststände, treten dieselben Gesichter aus der Deckung und verkünden den baldigen Untergang. Ironischerweise sind viele von ihnen schon seit Jahren „bald richtig“.
Rekorde, Bewertungen und ein Déjà-vu
Tatsächlich liegen die Bewertungen – gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) – in den USA auf historisch hohen Niveaus. Der Gesamtmarkt (S&P 500) notiert bei 23,7, der Technologieindex Nasdaq sogar über 30. Zum Vergleich: Der langfristige Durchschnitt liegt bei etwa 14 bis 17. Auf historischer Basis sind US-Aktien also 50 % bis 100 % „teurer“ als im Durchschnitt.
Kein Wunder also, dass Erinnerungen an das Jahr 2000 wach werden. Damals explodierten die Kurse von Unternehmen, die oft nicht mehr als eine Idee und eine Internet-Adresse besaßen (daher der Name „Dotcom“-Blase). Heute dominieren dagegen Konzerne wie Apple, Microsoft oder Nvidia – Firmen, die reale Gewinne in zweistelliger Milliardenhöhe erzielen. Der Vergleich mit der Dotcom-Zeit hinkt daher gewaltig.
Die Parallelen zur Dotcom-Blase – und warum sie nicht stimmen
Natürlich gibt es Parallelen – aber vor allem an der Oberfläche. Ja, die Kurse sind hoch. Ja, der Tech-Sektor wirkt überhitzt. Und ja, die Euphorie rund um Künstliche Intelligenz erinnert an den Internet-Boom der späten 90er.
An den Börsen wird immer die Zukunft gehandelt, d. h. Hoffnung. Die größten Tech-Unternehmen liefern aber nicht nur Hoffnung (auf mächtige Erträge durch die Verbreitung von KI-Anwendungen). Sie liefern auch reale Ertragskraft. Sie sind keine Fantasieprodukte. Sie verdienen Geld – und zwar viel Geld. Apple erwirtschaftet jährlich über 100 Milliarden US-Dollar Cashflow, Microsoft rund 90 Milliarden.
Niemand hat eine Glaskugel
Selbst Institutionen wie der Internationale Währungsfonds oder die Bank of England warnen inzwischen vor möglichen „scharfen Korrekturen“. Klingt bedrohlich – ist aber nicht neu. Korrekturen gehören zum Börsenalltag wie der Stau zum Berufsverkehr. Und trotzdem versucht die Finanzwelt unermüdlich, das Unvorhersagbare vorherzusagen.
Der Satz „Niemand hat eine Glaskugel“ ist keine Floskel, sondern eine wissenschaftlich belegte Tatsache. Eine Langzeitanalyse von Bloomberg zeigt, wie häufig und wie kurzlebig Rücksetzer an den Aktienmärkten tatsächlich sind:
| Rückgang | Anzahl | Ø Dauer Abschwung | Ø Dauer Erholung |
|---|---|---|---|
| 5 – 10 % | 84 | 1 Monat | 1 Monat |
| 10 – 20 % | 29 | 4 Monate | 4 Monate |
| 20 – 40 % | 9 | 11 Monate | 14 Monate |
| über 40 % | 3 | 23 Monate | 58 Monate |
Quelle: Bloomberg, Auswertung weltweiter Aktienrückgänge seit 1945
Zur besseren Einordnung hilft ein Blick auf die größten Verlustphasen der vergangenen 25 Jahre. Die folgenden Werte basieren auf Finanztip-Berechnungen zum MSCI World (Stand: Oktober 2025):
| Krise | Zeitraum | Verlust MSCI World | Ausgleich nach … |
|---|---|---|---|
| Dotcom-Blase | 9/2000 – 3/2003 | – 58 % | 13 Jahren, 138 Tagen |
| Finanzkrise | 6/2007 – 3/2009 | – 53 % | 5 Jahren, 260 Tagen |
| Eurokrise | 4/2015 – 2/2016 | – 22 % | 1 Jahr, 238 Tagen |
| Corona-Crash | 2/2020 – 3/2020 | – 34 % | 322 Tagen |
| „Liberation Day“ | 2/2025 – 4/2025 | – 20 % | 232 Tagen |
Quelle: MSCI, Finanztip-Berechnungen
Diese Daten zeigen: Selbst massive Einbrüche sind in der Rückschau oft nur kurze Episoden. Nach jeder Krise haben sich die Märkte erholt – manchmal schneller, als viele es für möglich hielten.
Krisen kommen. Krisen gehen. Die Börse bleibt.
Was jetzt wirklich zählt
Wer ein sauber strukturiertes Wertpapier-Portfolio hat, muss sich keine Sorgen machen. Denn es erfüllt drei zentrale Kriterien:
- Nur Geld, das man mindestens 10 Jahre nicht benötigt, steckt in Aktien.
- Das Portfolio ist global diversifiziert – über mehrere tausend Unternehmen hinweg.
- Es existiert ein Liquiditätspuffer (z. B. kurzlaufende Anleihen), der auch Durststrecken überbrückt.
Mit dieser Struktur spielt es keine Rolle, wann der nächste Rücksetzer kommt. Man ist darauf vorbereitet. Die Krise ist einkalkuliert.
Die Macht der Psychologie
Die größte Gefahr an der Börse sind nicht fallende Kurse, sondern steigende Emotionen. Panik, Euphorie, Gier, Angst – all das hat schon mehr Vermögen zerstört als jede Finanzkrise.
Crash-Propheten, YouTube-Gurus und Social-Media-Analysten leben davon, Emotionen auszulösen. Vor allem Angst. Je lauter die Warnung, desto höher die Klickzahlen.
Das Grundproblem: Die lautesten Stimmen haben meist kein besseres Wissen – nur ein Geschäftsmodell.
Das Perfide dabei: Irgendwann werden die Schreihälse natürlich recht haben und die Kurse werden einbrechen. Damit werden sie sich dann brüsten. Dass viele Anleger jahrelang Geld haben liegen lassen, weil sie Angst hatten und nicht investiert waren, steht auf einem anderen Blatt.
Warum Nichtstun manchmal die beste Entscheidung ist
Die Versuchung ist groß, „etwas zu tun“. Doch Anleger, die ständig kaufen und verkaufen, schneiden laut Studien im Schnitt deutlich schlechter ab als jene, die einfach investiert bleiben.
Denn der Markt bestraft Aktionismus. Die besten Börsentage folgen oft direkt auf die schlimmsten. Wer in Panik verkauft, steht meist draußen, wenn es wieder aufwärts geht.
Ruhiges Abwarten ist deshalb keine Schwäche, sondern eine Disziplin. Oder um Warren Buffett zu zitieren: „Die Börse transferiert Geld vom aktiven zum geduldigen Anleger.“
Kleine Gewinnmitnahmen? Kein Tabu.
Natürlich darf man auch Gewinne sichern. Anleger, die auf satten Buchgewinnen sitzen, können ihre Aktienquote reduzieren. Das ist kein Fehler, sondern gesundes Risikomanagement.
Aber bitte: keine hektischen Komplettausstiege. Denn wer versucht, den perfekten Zeitpunkt zu erwischen, hat meist doppelt verloren – beim Ausstieg und beim verpassten Wiedereinstieg.
Von kleinen Gewinnmitnahmen ist noch keiner gestorben. Vom ständigen Hin und Her schon mancher arm geworden.
Fazit – Ruhe bewahren, Struktur halten
Ja, die US-Bewertungen sind hoch. Ja, die Märkte können jederzeit korrigieren. Aber genauso gut kann die Rallye noch lange weiterlaufen.
Niemand weiß, ob der nächste Rücksetzer morgen, nächstes Jahr oder erst in fünf Jahren kommt. Entscheidend ist, dass man als Anleger darauf vorbereitet ist.
Anleger mit einem sauberen, global strukturierten Portfolio können sich entspannt zurücklehnen. Denn sie wissen: Krisen sind keine Katastrophen, sondern Zwischenstopps auf dem Weg zu langfristiger Rendite.
Oder anders gesagt: Die Sorge vor dem Crash ist der Preis, den man bei Aktien für Rendite zahlt.
In den vergangenen 100 Jahren war der Preis mehr als gerechtfertigt.
Achim TeskeAchim Teske ist einer von nur rund 200 echten unabhängigen Honorar-Anlageberatern in Deutschland. Der Bankkaufmann und Diplom-Kaufmann hat 16 Jahre für globale Investmentbanken gearbeitet, darunter 10 Jahre in London und 6 Jahre in Singapur. Zuletzt war er Managing Director und Leiter des Portfolio Managements für Asien-Pazifik. Seit 2017 ist er Honorarberater. 2019 wurde er in den DIN-Normenausschuss für Finanzdienstleistungen berufen.
