Der vergangene Donnerstag (20.11.2025) war laut einiger Aktienmarkt-Beobachter “ein Tag für die Geschichtsbücher”.
Was war passiert?
Am Mittwochabend blickte die gesamte Finanzwelt auf die Quartalszahlen von Nvidia, dem wertvollsten Unternehmen der Welt. Die Erwartungen waren hoch. Eine Enttäuschung hätte einen massiven Kurssturz nach sich ziehen können. Die Märkte waren nervös.
Und was machte Nvidia?
Das Unternehmen lieferte einen gigantischen Umsatzanstieg von 62 % im Vergleich zum Vorjahresquartal. Der Umsatz lag bei 55,2 Mrd. US-Dollar. Der Reingewinn betrug 31,9 Mrd. US-Dollar. In einem Quartal.
Zur Einordnung: Nvidia macht mehr Gewinn als alle DAX-Unternehmen gemeinsam.
Die Nvidia-Aktie stieg nachbörslich um 3 %. Am Donnerstag zogen die globalen Aktienmärkte nach und stiegen zunächst auf breiter Front. Der S&P legt um 1,9 % zu, bevor er plötzlich ins Minus drehte und 1,6 % verlor. Eine Preisspanne von 3,5 % an einem Tag kommt selten vor. Daher die Geschichtsbücher-Referenz.
Nach dem unerwarteten und kräftigen Kursrutsch erholten sich die Aktienmärkte am Freitag jedoch wieder.
Bei vielen Anlegern liegen die Nerven blank. Zahlreiche Marktbeobachter befürchten, dass eine KI-Blase entstanden ist und erwarten, dass diese bald platzen wird. Sorge und Unsicherheit dominieren.
Aus diesem Anlass gehe ich heute auf den Unterschied zwischen “Investieren” (was weniger als 10 % aller Profis und privaten Anleger tun) und “Spekulieren” (was über 90 % aller Anleger wahrscheinlich mehr oder weniger unbewusst tun) ein.
1. Investieren vs. Spekulieren – worum geht es eigentlich?
An der Börse kann man im Kern zwei Dinge tun:
- Spekulieren: Versuchen, einzelne „Gewinneraktien“ zu finden (Stockpicking) und die richtigen Kauf- und Verkaufszeitpunkte zu erwischen (Market Timing).
- Investieren: Systematisch am Wachstum der Weltwirtschaft teilhaben und kalkulierte Risiken breit gestreut tragen.
Spoiler: Ich befinde mich klar im Lager “Investieren auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse” anstatt Spekulation auf Basis von Prognosen, Bauchgefühl oder „Börsenstories“.
Schauen wir uns an, wie dieser Ansatz funktioniert – und wie hoch die Erfolgschancen im Vergleich zum typischen aktiven Management und zum Verhalten der meisten Privatanleger wirklich sind.
2. Wie spekulieren die meisten? Stockpicking und Market Timing
Typischer aktiver Ansatz – bei Fondsmanagern wie bei Privatanlegern:
- Stockpicking
- Man versucht, „die richtigen“ Einzelaktien zu identifizieren: Gewinnerbranchen, Trends, Geheimtipps.
- Bei Aktienfonds: Der Fondsmanager weicht bewusst vom Marktindex ab, um „Alpha“ (Überrenditen) zu erzielen. Und alle anderen zu schlagen.
- Man versucht, „die richtigen“ Einzelaktien zu identifizieren: Gewinnerbranchen, Trends, Geheimtipps.
- Market Timing
- Rein, wenn es „billig“ erscheint; raus, wenn es „gefährlich“ aussieht.
- Cashquoten rauf und runter, Branchen umschichten, Währungen hedgen usw.
- Rein, wenn es „billig“ erscheint; raus, wenn es „gefährlich“ aussieht.
- Erfolgslogik
- Man glaubt, dass man besser informiert ist oder die Zukunft besser einschätzen kann als der Rest des Marktes.
- Man glaubt, dass man besser informiert ist oder die Zukunft besser einschätzen kann als der Rest des Marktes.
Das Problem: Der Markt ist ein gewaltiges Informationsverarbeitungssystem. Kurse spiegeln im Wesentlichen die Erwartungen von Millionen Marktteilnehmern wider. Wer glaubt, mit seinem Bauchgefühl, ein paar Indikatoren oder einem Analysten-Team systematisch klüger zu sein als dieses Kollektiv – spielt ein extrem schweres Spiel.
3. Was sagt die Datenlage? Erfolgschancen von aktivem Management
Hier wird es spannend, denn wir haben sehr viel Statistik dazu:
- Die SPIVA-Scorecards von S&P Dow Jones Indices werten weltweit Fonds aus. Ergebnis über viele Jahre und Regionen:
- Über 10–15 Jahre unterperformiert in den meisten Aktienkategorien eine deutliche Mehrheit der aktiven Fonds ihre Vergleichsindizes – oft 70–90 %.
- Eine Auswertung, die SPIVA-Daten zusammenfasst, kommt für öffentliche Aktienfonds auf:
- Rund 90 % der aktiven Aktienmanager bleiben über zehn Jahre hinter ihrem Index zurück.
- Morningstars Active/Passive Barometer zeigt Ähnliches:
- Je länger der Zeitraum, desto niedriger die Erfolgsquote aktiver Fonds. In vielen Kategorien schaffen es über 10 Jahre nur 10–30 % der aktiven Fonds, ihre passiven Vergleichsprodukte zu schlagen.
Übersetzt in „Erfolgswahrscheinlichkeit“:
- Wenn Sie blind einen aktiven Fonds auswählen, liegt Ihre Chance, dass dieser Fonds über 10–15 Jahre besser ist als ein einfacher, günstiger Indexfonds, typischerweise irgendwo im Bereich von 10–30 %.
- Andersherum heißt das: 70–90 % Wahrscheinlichkeit, dass Sie unter der Marktrendite landen.
Und das gilt trotz aller Research-Teams, Prognosen, Modelle und Roadshows. Die sich die Fondsgesellschaften teilweise fürstlich bezahlen lassen. Faustformel: Aktive gemanagte Fonds haben jährliche Kosten von 2 % bis 3 %. ETFs kosten 0,1 % bis 0,5 %.
Für Privatanleger, die nebenbei ein bisschen traden, ist die Ausgangslage objektiv tendenziell schlechter.
4. Investieren: Wissenschaft statt Glaskugel
Wissenschaftliches Investieren bedeutet, nicht zu versuchen, die nächsten Gewinneraktien vorherzusagen oder kurzfristige Wendepunkte zu timen. Stattdessen setzt diese Anlagephilosophie auf drei Grundpfeiler:
- Märkte als Informationsmaschine akzeptieren
- Ausgangspunkt ist die Kapitalmarktforschung
- Annahme: Marktpreise enthalten im Großen und Ganzen bereits die verfügbaren Informationen.
- Statt „besser zu wissen“, versucht man, die Marktrendite und systematische Renditefaktoren effizient zu erschließen.
- Ausgangspunkt ist die Kapitalmarktforschung
- Gezielte Nutzung bekannter Renditefaktoren
Studien zeigen, dass bestimmte Unternehmensmerkmale langfristig höhere erwartete Renditen bringen- Aktien vs. Anleihen: Höhere Risikoprämie für Unternehmensbeteiligungen
- Small Cap: Kleinere Unternehmen schlagen Großunternehmen
- Value: Günstiger bewertete Unternehmen schlagen „teure“ Aktien
- Profitabilität: Unternehmen mit höherer Profitabilität outperformen
- Aktien vs. Anleihen: Höhere Risikoprämie für Unternehmensbeteiligungen
- Wissenschaftliche Anlageberater bauen breit gestreute Portfolios, die tausende Aktien und Anleihen enthalten und die oben genannten Renditequellen systematisch übergewichten, statt auf einzelne Wetten zu setzen.
- Systematische, kosteneffiziente Umsetzung
- Kein hektisches Trading auf Nachrichten oder Prognosen.
- Flexible Handelsstrategien, um Handelskosten zu minimieren.
- Diszipliniertes Rebalancing, um die gewünschte Faktorstruktur zu halten.
- Niedrige Verwaltungs- und Transaktionskosten, weil Kosten der verlässlichste Renditekiller sind.
- Kein hektisches Trading auf Nachrichten oder Prognosen.
Diese Anlagephilosophie verbindet das Beste aus zwei Welten: Man ist aktiv, aber evidenzbasiert bei der Portfoliokonstruktion. Und gleichzeitig passiv, weil man auf Prognosen verzichtet.
5. Investieren vs. Spekulieren im Vergleich
| Spekulieren | Investieren | |
| Ziel | Den Markt schlagen | Marktrendite + strukturierte Prämien nutzen |
| Mittel | Prognosen, Charts, Stories, Einzeltitel | Breite Diversifikation, Faktorprämien, Regeln |
| Entscheidungsbasis | Meinung, Gefühl, „Research calls“ | Peer-reviewte Forschung, Statistik, Daten |
| Diversifikation | Oft konzentriert (30–80 Titel) | Sehr breit (hundert(e) bis tausende Titel) |
| Kosten | Häufig hoch (Gebühren + Turnover) | Fokus auf niedrige, transparente Kosten |
| Erfolgswahrscheinlichkeit, Markt zu schlagen (10–15 Jahre) | empirisch meist 10–30 % | Ansatz zielt nicht primär auf „Schlagen“, sondern auf hohe Wahrscheinlichkeit für Marktrendite plus Faktorprämien bei disziplinierter Umsetzung |
| Rollenbild des Anlegers | Spieler gegen den Markt | Teilhaber am globalen Kapitalmarkt |
Wichtig: Der wissenschaftliche Ansatz kann nicht garantieren, dass bestimmte Faktoren in jeder Phase funktionieren oder dass es keine längeren Durststrecken gibt. Aber:
- Er vermeidet systematisch die bekannten Renditekiller: hohe Kosten, unnötiges Timing, Klumpenrisiken, emotionales Hin-und-her.
- Er stützt sich auf robuste, wiederholt bestätigte Zusammenhänge statt auf Meinungen.
6. Was heißt das praktisch für Privatanleger?
Das Prinzip lässt sich auf Ihr ganzes Vermögen übertragen.
- Definieren Sie ein Ziel, nicht eine Wette.
Es geht nicht darum, „die nächste Nvidia“ zu finden, sondern z. B.:
- „In 20 Jahren ein inflationsbereinigtes Zusatzvermögen von X €.“
- „Ein Portfolio, das 30+ Jahre Ruhestand finanzieren kann.“
- Bauen Sie ein global diversifiziertes Portfolio.
- Weltweite Aktienstreuung über viele Länder, Branchen, Unternehmensgrößen.
- Anleihen als Stabilitätsanker passend zu Ihrer Risikobereitschaft. Hochzinsanleihen um aktienmarktnahe Renditen bei geringeren Schwankungen zu erzielen.
- Wenn möglich: gezielte, breit gestreute Faktorübergewichtung (Small, Value, Profitabilität) statt Einzeltitel-Zock.
- Minimieren Sie vermeidbare Kosten.
- Laufende Fondskosten (TER)
- Handelskosten und Spreads
- Steuerlich unkluge Umschichtungen
Jeder Prozentpunkt Kosten pro Jahr frisst massiv in Ihr Langfristergebnis hinein. Wir sprechen von sechsstelligen und siebenstelligen Beträgen.
- Vermeiden Sie Market Timing konsequent.
- Kein „Ich steige aus, bis die Lage klarer ist“.
- Kein „Ich warte, bis die nächste Korrektur vorbei ist“.
Die Daten zeigen: Ein erheblicher Teil der Gesamtrendite kommt in wenigen, schwer vorhersehbaren Tagen oder Monaten. Wer diese verpasst, weil er „raus“ ist, schadet sich massiv.
- Arbeiten Sie mit Regeln – notfalls mit jemandem, der Sie daran erinnert.
- Rebalancing nach festgelegten Schwellen.
- Einmal jährlich überprüfen, ob das Portfolio noch zur Lebenssituation passt.
- Emotionen aus Entscheidungen rausnehmen – das ist oft die wichtigste Aufgabe eines guten, unabhängigen Beraters.
7. Fazit: Nutzen Sie den Markt, statt ihn schlagen zu wollen
Die Bilanz nach Jahrzehnten Forschung und Praxis ist ernüchternd klar:
- Stockpicking und Market Timing liefern für die meisten Anleger – inklusive der meisten Profis – eine niedrige Erfolgswahrscheinlichkeit und häufig deutlich unterdurchschnittliche Ergebnisse.
- Evidenzbasiertes Investieren akzeptiert die Stärke der Märkte, nutzt systematisch bekannte Renditequellen und reduziert vermeidbare Risiken und Kosten.
Oder zugespitzt:
Spekulieren heißt, gegen den Markt zu spielen.
Investieren heißt, mit dem Markt zu wachsen.
Wenn Sie Ihr Vermögen langfristig planbar, transparent und mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit entwickeln wollen, spricht die Wissenschaft klar dafür, das Spekulieren durch ein diszipliniertes, evidenzbasiertes Investieren zu ersetzen.
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Achim TeskeAchim Teske ist einer von nur rund 200 echten unabhängigen Honorar-Anlageberatern in Deutschland. Der Bankkaufmann und Diplom-Kaufmann hat 16 Jahre für globale Investmentbanken gearbeitet, darunter 10 Jahre in London und 6 Jahre in Singapur. Zuletzt war er Managing Director und Leiter des Portfolio Managements für Asien-Pazifik. Seit 2017 ist er Honorarberater. 2019 wurde er in den DIN-Normenausschuss für Finanzdienstleistungen berufen.
