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Im Herbst 2015 saß ich in meinem Büro in Singapur, als meine Inbox „Pling“ machte. Ich öffnete die E-Mail, und da war sie. Die Einladung, auf die ich seit 5 Jahren scharf war. Die Einladung zu der jährlichen Asien-Konferenz meines damaligen Arbeitgebers, einer globalen Investmentbank, die dieses Jahr in Singapur stattfand.
Die Veranstaltung war legendär. Die Tickets streng limitiert. Nur die wichtigsten Mandanten und deren Betreuer (zu denen ich nicht gehörte) waren eingeladen. Jeder wollte dabei sein und es gab Geschichten von Mitarbeitern, die sich eingeschlichen hatten und auf der Stelle gefeuert wurden.
Von den VIPs hatten nun einige abgesagt und es gab eine Handvoll freie Plätze. Als Managing Director und Leiter des Portfolio Managements Asien-Pazifik stand ich glücklicherweise recht weit oben auf der Nachrückerliste und bekam so eines der begehrten Tickets.
Beschwingt betrat ich am Morgen das Ritz Carlton Hotel, wo die Konferenz stattfand. Die Fernsehreporter waren schon da und führten die ersten Interviews, die live im Fernsehen übertragen wurden. Ich sah einem entspannten Tag entgegen, denn alle Mitarbeiter, die keine Kunden betreuten (also ich) hatten strikte Verhaltensregeln bekommen: Hintern auf einen Stuhl setzen, freundlich lächeln und nicht den letzten Shrimp vom Buffet mopsen. Das sollte ich hinbekommen.
Der Vormittag der Konferenz bestand dann aus den üblichen Vorträgen von preisgekrönten Wissenschaftlern und gepflegten Interviews von Star-Reportern mit hochrangigen Politikern. So weit, so gut.
Am Nachmittag betrat ein älterer, freundlicher Herr die Bühne. Ich hatte seinerzeit noch nie etwas von Hans Rosling gehört. Auf dem Papier klang er sogar ein bisschen dröge. Ein schwedischer Arzt und Statistiker. Gähn. 45 Minuten später war Hans Rosling mein neuer Held. Leider ist er im Jahr 2017 verstorben. Sein berühmtestes und sehr lesenswertes Buch ist “Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist.”
Es folgte eine der witzigsten, inspirierendsten und überraschendsten Vorträge, die ich je erlebt habe. Herr Rosling betrat die Bühne und forderte den Saal jovial zu einem kurzen Quiz heraus, das er den „Ignoranz-Test“ nannte (den Test finden Sie weiter unten).
Ein Quiz? Aber gerne doch! Damit rannte er in einem Saal voll hoch-kompetitiver CEOs, Wissenschaftler und reicher Privatkunden (und mir) offene Türen ein. Denn wenn es uns an einem, vermeintlich, nicht mangelte, dann war es Intelligenz, Wissen und Selbstbewusstsein. Im Gegenteil.
Es folgten zehn Multiple-Choice-Fragen zur globalen Bevölkerungsentwicklung, Gesundheit und Lebenserwartung. Als wir die Ergebnisse bekamen, war ich fassungslos. Ich hatte nur drei von zehn Fragen korrekt beantwortet. Genauer gesagt richtig geraten. Ein kurzer Blick durch den Saal bestätigte, dass ich nicht allein war. Betretenes Schweigen, gesenkte Blicke, Kopfschütteln und allgemeine Ungläubigkeit. Fast jeder der anwesenden Überflieger hatte den Test verhauen. Zu meiner großen Erleichterung erfuhr ich schnell, dass ich nicht vollkommen verblödet war, sondern genau im Durchschnitt lag.
Hans erklärte uns dann, dass unser Versagen vollkommen normal sei. Die Testergebnisse haben nichts mit Intelligenz oder dem Bildungsniveau zu tun. Einige der schlechtesten Ergebnisse überhaupt kamen von einer Gruppe von Nobelpreisträgern!
Denn wir alle haben häufig ein völlig falsches Bild von der Welt. Und zwar nicht zufällig falsch, sondern systematisch falsch. Das Schlimme daran: In der Regel haben wir ein zu negatives und düsteres Bild der Welt. Wir unterschätzen oft die guten Dinge und was wir bereits erreicht haben.
Das ist aber nicht unsere Schuld und wir müssen uns dafür auch nicht schämen. Die Ursache liegt, vereinfacht gesagt, in unserer Vergangenheit und darin, wie unser Gehirn funktioniert. Tief in uns drin sind wir immer noch Jäger und Sammler, die schnell reagieren müssen, wenn auf einmal der Säbelzahntiger um die Ecke kommt. Deshalb verlassen wir uns oft eher auf unsere Gefühle als auf Daten und Fakten. Verschärft wird die Lage dadurch, dass wir in einer Welt voll Reizüberflutung und widersprüchlicher Informationen leben. Wir sind verwirrt und fallen in die alten Verhaltensmuster zurück. Oder tun lieber gar nichts.
Ich beobachte diesen Zustand des Unterschätzens der eigenen Situation oft in meiner Beratungspraxis. Besonders bei Mandanten, die sehr erfolgreich sind. Ihnen ist das volle Ausmaß ihres Erfolgs oft nicht bewusst. Sie hängen die Latte für sich selbst so hoch, dass sie selten zufrieden sind. Und darunter leiden Sie oft unbewusst. Und Ihre Familien. Denn es fehlt immer die Zeit und das Schuldgefühl ist permanent da.
Der erste Schritt in Richtung finanzielle Entspanntheit ist eine sorgfältige Bestandsaufnahme und ein systematischer Blick in Zukunft. Vielen Mandanten fällt dann, im positiven Sinn, die Kinnlade herunter. Weil sie zum ersten Mal schwarz auf weiß sehen, was Sie bereits erreicht haben. Und dass das bereits Erreichte, zusammen mit der richtigen Strategie, ihnen plötzlich ungeahnte Optionen gibt. Z. B. kürzerzutreten. Das Ferienhaus oder das Boot zu kaufen. Ein Ehepaar, das ich betreue, hat letztes Jahr spontan entschieden, ihre Firma fünf Jahre früher zu verkaufen, nachdem wir eine strategische Finanzplanung gemacht haben. Es ist mehr als genug Geld da und ihr Traum war immer, um die Welt zu reisen.
Hier der Link zum Ignoranz-Test. Er dauert drei Minuten.
Achim Teske ist einer von nur rund 200 echten unabhängigen Honorar-Anlageberatern in Deutschland. Der Bankkaufmann und Diplom-Kaufmann hat 16 Jahre für globale Investmentbanken gearbeitet, darunter 10 Jahre in London und 6 Jahre in Singapur. Zuletzt war er Managing Director und Leiter des Portfolio Managements für Asien-Pazifik. Seit 2017 ist er Honorarberater. 2019 wurde er in den DIN-Normenausschuss für Finanzdienstleistungen berufen.