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In Ihrem Finanzordner befindet sich möglicherweise ein Zombie-Finanzprodukt:
Die klassische Lebensversicherung bzw. klassische Rentenversicherung mit Garantieverzinsung.
Die klassische Versicherung müsste aufgrund ihrer in der Regel hohen Kosten und geringen Renditen eigentlich schon lange von der Versicherungsbranche beerdigt worden sein. Tatsächlich haben zahlreiche Versicherer dieses Produkt in den vergangenen Jahren aus dem Sortiment genommen.
Warum gibt es trotzdem noch 41.000.000 (!) laufende Verträge? Warum werden betroffene Kunden nicht darüber informiert, dass ihre Versicherung ein reales Renditegrab ist?
Der Zombie wird am Leben gehalten, weil er immer noch viel Geld hereinholt. Die Versicherer selbst kassieren hohe Verwaltungskosten, die nicht selten 20 % der gezahlten Beiträge betragen. Die Versicherungsvermittler und -vertreter erhalten hohe Abschlussprovisionen und jährliche Bestandsprovisionen.
Diese Woche bekam ich eine klassische Rentenversicherung eines führenden Versicherers auf den Schreibtisch. Meine Mandantin hatte 2019 einen Einmalbeitrag von 200.000 Euro geleistet. Daraus hätten laut Musterrechnung bis heute 209.000 Euro werden sollen. Der aktuelle Vertragswert: 197.000 Euro. Der Hauptgrund für den Verlust: Die Abschlussprovision von 8.000 Euro für die Sparkasse, die die Versicherung vermittelt hatte. Keine schlechte Bezahlung für eine Stunde “Beratung”…
Meine Mitarbeiter und ich haben inzwischen rund 2.500 Lebens- und Rentenversicherungen geprüft. Unsere Erkenntnis: In 92 % der Fälle gab es bessere alternative Geldanlagen für unsere Mandanten.
Es gab allerdings eine Minderheit von 8 %, die bis vor kurzem noch sinnvoll waren. Und zwar insbesondere klassische Lebens- und Rentenversicherungen, die vor 2007 abgeschlossen wurden. Denn diese Verträge boten während der Niedrigzinsphase vergleichsweise attraktive “Garantiezinsen” zwischen 2,75 % und 4,00 %.
Hier zur Erinnerung eine Übersicht der historischen “Garantiezinsen”, die seit über 20 Jahren stetig gesunken sind:
07/1994 bis 06/2000: 4,00 %
07/2000 bis 12/2003: 3,25 %
01/2004 bis 12/2006: 2,75 %
01/2007 bis 12/2011: 2,25 %
01/2012 bis 12/2014: 1,75 %
01/2015 bis 12/2016: 1,25 %
01/2017 bis 12/2021: 0,90 %
01/2022 bis heute: 0,25 %
Worüber viele Versicherungskunden nicht aufgeklärt wurden: Der “Garantiezins” wird nur auf den sogenannten Sparbeitrag gezahlt. Das ist der Betrag, der für die Kunden investiert wird, nachdem der Versicherer seine Kosten abgezogen hat. Die Kosten der Versicherer sind in der Regel hoch und liegen nicht selten bei 20 % der Beiträge oder mehr.
Das traurige Ergebnis: In unserer Erfahrung liegt die wahre Rendite von klassischen Policen (nach Kosten) in der Regel um mindestens 1 Prozentpunkt unterhalb des jeweils gültigen Garantiezinses. In der Tat haben wir bisher nur eine niedrige zweistellige Zahl von klassischen Lebens- oder Rentenversicherungen gesehen, deren Rendite nach Kosten bei über 3 % pro Jahr lag.
Zum Vergleich: 10-Jährige Staatsanleihen in Euro bieten aktuell rund 3 % Verzinsung pro Jahr. Unternehmensanleihen guter Bonität bieten um die 4 % Zinsen, teilweise auch mehr.
Durch die Zinswende dürften rund 98 % aller klassischen Policen überflüssig geworden sein und den realen Vermögensaufbau der Versicherungskunden behindern.
Der Vollständigkeit halber hier noch die beiden anderen (fadenscheinigen) Argumente der Versicherungsbranche, warum Kunden ihre klassischen Lebens- und Rentenversicherungen weiterführen sollten:
Lebenslange Garantien
Rentenversicherungen haben in der Tat ein Alleinstellungsmerkmal. Sie garantieren Zahlungen bis zum Tod.
In der Praxis sind diese Garantien oft viel weniger wert als Kunden vermuten. Zunächst haben Lebens- und Rentenversicherungen meist hohe Kosten, so dass deutlich weniger Vermögen aufgebaut wird als bei einer freien Kapitalanlage.
Dann sind die Rentenfaktoren häufig so gering, dass Kunden sehr alt werden müssen, damit sich eine Rentenversicherung lohnt. Letztlich bieten Rentenversicherungen auch keinen Inflationsschutz, da die Rentenzahlung in der Regel zu Renteneintritt fixiert wird.
Steuervorteile
Lebens- und Rentenversicherungen haben Steuervorteile gegenüber einer freien Kapitalanlage. Versicherungen, die vor 2005 abgeschlossen wurden, sind komplett steuerfrei, falls 5 Jahre Beiträge gezahlt wurden und der Vertrag länger als 12 Jahre gelaufen ist. Seit 2005 gilt die Besteuerung nach dem Halbeinkünfteverfahren, die auch ihre Vorteile haben kann.
In der Praxis sind diese Steuervorteile meist wenig wert. Zunächst befand sich über die Hälfte der von uns geprüften Verträge in der Verlustzone. Das heißt, der aktuelle Vertragswert lag unter der Summe der gezahlten Beiträge. Wenn kein Ertrag erzielt wird, fällt allerdings auch keine Steuer an. Eine Steuerfreiheit ist dann nutzlos.
Die Renditen der Versicherungen, die sich im Plus befanden, lagen meist zwischen 1 % und 3 % pro Jahr. Vergleichbare freie Kapitalanlagen hätten trotz Besteuerung in vielen Fällen höhere Renditen erzielt.
Versicherer erhöhen die Zinsen: Ein Tropfen auf dem heißen Stein
Einige Versicherer haben die Verzinsungen ihrer klassischen Verträge aufgrund der Zinswende bereits ein wenig erhöht und informieren ihre Kunden über diese vermeintlich positive Entwicklung. Diese Schreiben könnten viele Versicherungskunden davon überzeugen, dass es sinnvoll sei, an klassischen Verträgen festzuhalten.
Was dabei verschwiegen wird: Die Renditen von klassischen Verträgen liegen weiterhin deutlich unterhalb der Inflationsrate. Diese lag im Mai 2023 bei 6,1 %.
Mit anderen Worten: Die reale Verzinsung dieser Verträge ist deutlich negativ und wird wahrscheinlich auch negativ bleiben. Durch eine Fortführung erleiden Kunden mit klassischen Versicherungen einen realen Vermögensverlust.
Und jetzt?
Die Überprüfung von Lebens- und Rentenversicherungen ist keine vergnügungssteuerpflichtige Tätigkeit. Sie kann jedoch schnell vier- und fünfstellige Euro-Beträge einbringen.
Achim Teske ist einer von nur rund 200 echten unabhängigen Honorar-Anlageberatern in Deutschland. Der Bankkaufmann und Diplom-Kaufmann hat 16 Jahre für globale Investmentbanken gearbeitet, darunter 10 Jahre in London und 6 Jahre in Singapur. Zuletzt war er Managing Director und Leiter des Portfolio Managements für Asien-Pazifik. Seit 2017 ist er Honorarberater. 2019 wurde er in den DIN-Normenausschuss für Finanzdienstleistungen berufen.