Zinsen weiter im Sinkflug
Die Europäische Zentralbank hat diese Woche zum achten Mal in Folge die Leitzinsen gesenkt. Der für Sparer relevante Einlagezins wurde um 0,25 % auf 2,0 % gesenkt.
Direkt im Anschluss erlitten die Tagesgeld-Zinsen von Banken und Sparkassen den stärksten Einbruch seit 2012.
Die reale Renditefalle: Warum Zinsen nicht reichen
Für Anleger ist die Zinssenkung ein Weckruf: Die Zeit der satten Festgeldzinsen von bis zu 4 % scheint erst einmal vorbei zu sein. Was zunächst nachteilig für Anleger klingt, ist bei genauerem Hinsehen aber ein Segen im Unglück. Wenn man die richtigen Schlüsse zieht.
Denn Zinsprodukte wie Festgeld, Tagesgeld und Sparbücher sind Orte, um Geld kurzfristig zu parken. Es sind keine Geldanlagen, mit denen man Vermögen aufbauen und schützen kann.
Viele Sparer hoffen, dass Tagesgeld und Festgeld zumindest den Wert des Vermögens erhalten. Doch das ist ein Trugschluss.
Aus Anlegersicht wird das Geld auf dem Festgeldkonto durch die Verzinsung zwar optisch immer mehr. In der Fachsprache heißt dies “Geldillusion”.
Was bei der Geldanlage allerdings wirklich zählt, ist die sogenannte reale Verzinsung. Das ist die Verzinsung nach Abzug von Kosten, Kapitalertragsteuer und Inflation.
Wer heute 2 % Festgeldzinsen bekommt, erhält nach Steuern circa 1,5 % Zinsen. Die Inflationsrate lag in Deutschland im April 2025 allerdings bei 2,1 %. Sparer erleiden somit einen realen Verlust von 0,6 %.
Das war übrigens zu Zeiten von 4 % Zinsen nicht anders, denn von 2021 bis 2024 hatten wir hohe Inflationsraten (Quelle: Statistisches Bundesamt).
2021: 3,1 %
2022: 6,9 %
2023: 5,9 %
2024: 2,4 %
In Summe ist das Preisniveau in Deutschland, befeuert durch Corona und den Ukraine-Krieg, in den vergangenen 5 Jahren um 19 % gestiegen. Und zwar dauerhaft. Was häufig missverstanden wird: Eine sinkende Inflation, wie wir sie aktuell erleben, bedeutet nicht, dass das Leben günstiger wird. Es bedeutet nur, dass die Preise langsamer steigen.
Diesen Anstieg können Festgeld und Tagesgeld nicht kompensieren. Wer sein Geld auf herkömmlichen Zinskonten parkt, erlebt einen schleichenden realen Wertverlust. Besonders für große Vermögen ist dieser Effekt verheerend.
Die gefährliche Komfortzone: Das Festhalten an Zinsprodukten
Studien haben gezeigt: Die Wahl der Geldanlage bestimmt den Anlageerfolg zu über 90 %. Mit anderen Worten: Wer bei der Geldanlage aufs falsche Pferd setzt, kann niemals (reales) Vermögen aufbauen oder schützen.
Aktuell halten die Deutschen über 3.000 Milliarden Euro in Form von Tagesgeld, Festgeld und Sparbüchern. Eine gigantische Summe. Und ein gigantisches Problem für unsere Gesellschaft, weil dieses Geld nicht produktiv arbeitet.
Es ist menschlich und verständlich: Das Sicherheitsgefühl bei vielen Anlegern ist groß – vor allem bei hohen Summen. Doch genau hier lauert der teuerste Anlagefehler: Untätiges Kapital. Das Geld liegt rum und arbeitet nicht.
Wer vor 3 Jahren 100.000 Euro zu 4 % in Festgeld angelegt hat, hat heute 112.000 Euro.
Wer vor 3 Jahren 100.000 Euro in den DAX investiert hat, hat heute 165.000 Euro.
Klar: Die letzten Jahre waren überdurchschnittlich gute Börsenjahre. Historisch liegt die Überrendite von Aktien gegenüber Festgeld trotzdem bei 4 % oder mehr pro Jahr.
Gerade bei sechs- oder siebenstelligen Beträgen summieren sich deshalb die sogenannten Opportunitätskosten, d. h. die entgangenen Börsengewinne, langfristig auf Hunderttausende oder gar Millionen Euro.
Das Muster ist oft gleich: Aus fehlendem Wissen, Angst vor Schwankungen oder nach schlechten Erfahrungen an den Märkten wird Kapital zurückgezogen und „zwischengeparkt“. Doch aus dem „Parken“ wird leicht ein Dauerzustand. Das Problem: Geld, das nicht arbeitet, wird von der Inflation langsam, aber sicher aufgezehrt.
Warum gerade Vermögende besonders betroffen sind
Je größer das Vermögen, desto gravierender die Auswirkungen von Untätigkeit. Die falsche Strategie verursacht Jahr für Jahr erhebliche Wohlstandsverluste.
Gerade vermögende Anleger, die keine offensichtlichen Geldprobleme haben, wollen oft Risiken vermeiden und setzen daher auf scheinbare Sicherheit. Doch diese Strategie ist fatal und hat hohe versteckte Kosten. Denn die Kosten des eigenen Lebensstils steigen gnadenlos an. Jahr für Jahr. Der reale Vermögensaufbau hält nicht Schritt. Das oft bittere Ende:
- Sorgen, ob das Geld reichen wird.
- Ein später als gewünschter Ruhestand.
- Einbußen beim Lebensstandard im Alter.
- Weniger Geld für Kinder und Enkelkinder.
- Die Freunde amüsieren sich. Man selbst muss aus Geldmangel zu Hause bleiben.
Der wohl größte Anlagefehler ist deshalb das dauerhafte Verharren in Zinsprodukten, während die Börsen weiter steigen.
Der Vergleich: Historische Renditen von Aktien und Zinsprodukten
Wissenschaft und Erfahrung belegen: Wer langfristig Vermögen sichern und ausbauen will, kommt am Kapitalmarkt nicht vorbei. Die globalen Aktienmärkte erzielten in den vergangenen 120 Jahren durchschnittlich rund 7 % Rendite pro Jahr. Zinsprodukte hingegen lagen – abzüglich Steuern und Inflation – systematisch deutlich darunter.
In den 2010er-Jahren waren Tagesgeldzinsen zeitweise sogar bei null. Anleger, die in dieser Zeit in Aktien investierten, konnten hingegen von einem der längsten Bullenmärkte der Geschichte profitieren. Das lässt sich nicht beliebig wiederholen, aber eines bleibt: Langfristig belohnt der Kapitalmarkt geduldige Investoren, nicht vorsichtige „Sparer“.
Liquidität: Kurzfristig ja – aber bitte mit Strategie
Jedes Vermögen benötigt einen gewissen Liquiditätspuffer, um es vor unvorhergesehenen Ereignissen zu schützen.
Vermögende Anleger benötigen eine geringere Rendite als Anleger, die sich im Vermögensaufbau befinden.
Liquide und gleichzeitig sichere Geldanlagen sind somit Teil jeder Vermögensstruktur. Kurzlaufende Anleihen oder Anleihen-ETFs sind hier in der Regel sinnvoller als Tagesgeld. Sie sind kurzfristig verfügbar, bieten meistens bessere Erträge und sind transparent strukturiert.
Doch auch sie sind kein Ersatz für eine durchdachte, langfristige Anlagestrategie.
Der Großteil des Vermögens gehört dorthin, wo er reale Wertsteigerung erzeugt: In ein breit diversifiziertes, globales Aktienportfolio, abgestimmt auf den eigenen Anlagehorizont und die individuelle Risikobereitschaft und Renditeerwartung.
Was jetzt zählt: Anlagestrategie überprüfen – und konsequent handeln
Die EZB-Zinssenkung ist mehr als eine Notiz in der Finanzpresse. Sie ist ein Warnsignal. Für Anleger, die die bestmögliche Geldanlage wollen, ist jetzt der Moment gekommen, die eigene Strategie zu überprüfen. Wer weiterhin auf Zinsprodukte setzt, akzeptiert realen Wertverlust.
Der einzige Weg, diesen schleichenden Verlust zu stoppen: Das Kapital dorthin zu bewegen, wo es arbeitet. Die Börsen sind volatil – das ist ihr Wesen. Aber historisch haben sie jedes Mal gezeigt: Geduld zahlt sich aus. Sparer werden von der Inflation enteignet. Anleger, die den Schritt an den Kapitalmarkt wagen, erhalten langfristig die Chance auf echten Vermögenserhalt und -aufbau.
Fazit: Der teuerste Fehler ist das Nichtstun
Die größte Gefahr für anspruchsvolle Vermögen sind nicht die meist kurzfristigen Schwankungen der Börsen, sondern das Risiko des Stillstands. Die EZB-Zinssenkung sollte Anlass sein, die eigene Anlagestrategie kritisch zu hinterfragen und konsequent auf produktives Kapital zu setzen. Wer sein Vermögen auf Zinsprodukten „parkt“, entscheidet sich Jahr für Jahr gegen Wachstum – und für schleichenden Vermögensverlust.

Achim Teske ist einer von nur rund 200 echten unabhängigen Honorar-Anlageberatern in Deutschland. Der Bankkaufmann und Diplom-Kaufmann hat 16 Jahre für globale Investmentbanken gearbeitet, darunter 10 Jahre in London und 6 Jahre in Singapur. Zuletzt war er Managing Director und Leiter des Portfolio Managements für Asien-Pazifik. Seit 2017 ist er Honorarberater. 2019 wurde er in den DIN-Normenausschuss für Finanzdienstleistungen berufen.